Die beiden ausstellenden Künstler Graziella Drößler und Wolfgang Schmitz sind im Sommer auf die Höri gekommen und haben vor Ort gearbeitet. Für die Malerin Graziella Drössler (Jg. 1953) ist die reale Umgebung Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. Sie versucht jedoch den jeweiligen Ort auch gedanklich zu durchdringen und zu erobern. Sie geht auf Spurensuche, die Vergangenheit und Gegenwart einschließt. Seit Jahren arbeitet sie mit Wolfgang Schmitz (Jg. 1938), langjähriger Professor der Hochschule für Künste in Bremen, zusammen. Der ehemalige Dokumentateilnehmer (dokumenta 6) ist ein Zeichner von großer Impulsivität. 

 

 

"Graziella Drößler und Wolfgang Schmitz greifen in ihrer Ausstellung beziehungsreich in das kulturell und topografisch verwurzelte Geflecht der Landschaft und ihrer Menschen ein. Die Malerei Graziella Drößlers als auch die Zeichnungen von Wolfgang Schmitz setzen sich bildnerisch mit diesem Netzwerk des Seins auseinander. Sie lassen sich so vor der realen Kulisse des Untersees im Bannkreis der Höri, der Pfahlbauten und der literarischen Atmosphäre als Landschafts- und Historienbilder verstehen. Die Künstlerin und der Künstler folgen der gleichen Spur, jeweils auf ihre Weise – sie als Malerin, er als Zeichner. Und wenn sie beide die Geschichte und den Mythos in ihre Arbeit einbinden, so beruft sich Drößler oft auf das parallel geführte fotografierte bzw. reproduzierte, gedruckte Bild, auch das Schriftbild, während Schmitz seinen Zeichnungen literarische Bilder oder kunstgeschichtliche Zitate raffiniert unterschiebt."

Text und alle Folgetexte Dr. Günter Baumann

Wolfgang  Schmitz und Graziella Drössler vor Drösslers Arbeit "Windschlauch und Land unter Wasser", 2006                        Öl, Acryl, Tempera auf Karton

 

 

 

"In der Wirkung unterscheiden sich die Arbeiten beider Künstler dadurch, dass Graziella Drößler eine Balance zwischen dokumentarischer Treue und freier bis hin zu abstrakter malerischer Form erreicht, und Wolfgang Schmitz eine vielschichtige, chiffrenreiche Skizze der Wirklichkeit entwirft...

 

 

 

Graziella Drössler im Gespräch mit Dr. Günter Baumann

 

 

 

 

Wolfgang Schmitz ist ein Vollblutzeichner, der alle Register der Grau-Schwarz-Abstufung zieht, und mit der Sicherheit des versierten Handwerkers überblendet er verschiedene Szenen in einem chiffrierten Kontext. Die Darstellung ist realistischer als die stärker abstrahierte Figuration von Graziella Drößler, doch hebt er den Gehalt eher ins Sur-Reale, wo seine Partnerin den konkreten Bezug nicht aus den Augen lässt. Nehmen wir den hier in multiplizierter Weise auftretenden Reiter. Es liegt nahe, dass wir es mit dem Bodenseereiter zu tun haben – die Indizien sind vorhanden.

 

Wolfgang Schmitz, aus der Serie „Der Reiter und der Bodensee“, III, 2006 Lithokreide und Farbstift,  57x75 cm

 

Schmitz spielt in der Pferde-Serie mit dem schwäbischen Mythos, mit einem informationsästhetischen Signet und mit einem kunsthistorischen Zitat, lässt sie ineinander fließen und erhebt damit die Frage nach der Wirklichkeit unserer Wahrnehmungen, Erinnerungen und Assoziationen. Hier sind die Skizzen von Wolfgang Schmitz aufschlussreich. Der Bodenseereiter taucht da plötzlich als flämischer Zwilling zwischen Palisaden wieder auf – ein Verwandter der Zeelandreiterin, die sich ihrerseits auch am Bodensee zeigt.

Wolfgang Schmitz, Zeelandreiter zwischen Palisaden, 2006, Lithokreide / Farbstift / Pastell,  22x40 cm

 

 

Nüchtern konfrontiert Drössler uns mit Dokumentationsmaterial, wie es uns in Fachbüchern beziehungsweise auf Infotafeln begegnet.... es handelt sich um verschiedene Theorien... Das Ergebnis dieser Überlegungen ist hier gar nicht entscheidend. Vielmehr liegt die Betonung auf dem Interesse an den Bauten selber, die über Jahrhunderte die Phantasie der Menschen angeregt haben, die das Leben in der Region in längst vergangenen Zeiten verlebendigen und die zugleich auch den Zweifel an der Objektivität der Geschichte im Besonderen und Allgemeinen wachrufen : »Werden sie, die Pfahlbauten, den nächsten Sturm überstehen?« Das zumindest ist die real existierende Frage, die Graziella Drößler in einem Bild ihrer Pfahlbau-Serie zitiert hat.

 

Graziella Drössler, Pfahlbaureste unter Wasser, 2006, Inkjet, Tempera auf Papier27x29 cm

 

Egal, wie authentisch die Pfahlbauten sind, historisch, symbolisch und selbst emotional haben sie uns etwas zu sagen. Emotional bieten sich zudem Assoziationen an, die dem Thema Haus insgesamt zukommt: Schutz! Unterstellen wir einfach die Richtigkeit der Pfahlbauten hier in steinzeitlicher Vergangenheit, eignen sich die Behausungen noch heute für Überlegungen, wie sich die Menschen am besten vor Wind, Wasser und Feinden schützen konnten. Und so komisch es angesichts der Fragwürdigkeit des Pfahlbautenbe- stands auch klingen mag, wie andere Häuser stehen auch sie symbolisch für Standhaftigkeit.

 

                         

Grazioella Drössler, Modelle zur Pfahlbautheorie, 2006, Inkjet, Tempera auf Papier, 30x31 cm

 

 

 

Graziella Drößler und Wolfgang Schmitz zeigen mit den Möglichkeiten der Kunst, mit welchen fiktiven, symbolischen und auch tatsächlich erinnerten Elementen sich unsere vermeintliche Wirklichkeit zusammensetzt, die in der Erfindung beziehungsweise Neuschöpfung der Künstler erst eine Wahrhaftigkeit erhält, die wir wiederum authentisch nachempfinden können."

                                                                                                        alle Texte: Dr. Günter Baumann