NWZ 21.4.1999

AUSSTELLUNG / Galerie Kränzl in Göppingen

Die Doppelspirale steht für Leben und Tod
Ebba Kaynak teilt und durchdringt den Werkstoff Holz vorzugsweise mit einer Kettensäge

Welche erstaunlichen Ergebnisse mit der Kettensäge an dem vielfältigen Werkstoff Holz hervorzubringen sind, das zeigt Ebba Kaynak zur Zeit in der Göppinger Galerie Kränzl.

MARLIES BIRKLE-HOSS

Holz, vor allem das von Kirsche, Birne, Zwetschge, Walnuß und Mirabelle, ist ein widerständiger Werkstoff.  Die "prirna materia" des Ostens ist oragnisch, lebendig, wie kein anderes Material, hat Kern, Ringe, Rinde, Verästelungen, Auswüchse, Einbuchtungen, ist und bleibt auch während und nach der Bearbeitung ein Stück weit unberechenbar, kann splittern, bersten, brechen, platzen, sich verziehen.  Holz ist begreifbar auch in Form von Objekten, Skulpturen und Installationen.,'Teilungen-Durchdringungen" nennt die Künstlerin Ebba Kaynak ihre Ausstellung und demonstriert so ihre Orientierung am Konkreten, an konzentrierten und reduzierten Formen, die keine bedeutungsschwangere Aufgeblasenheit nötig haben.
Neben dem dreiblütigen, burgunderroten, "schweren" Rosenstrauß in dem einen Kabinett sind im anderen die "Zeitsegmente blau" zu bewundern, eine hundertteilige Installation, leicht, kühl und an einen Schwalbenschwarm erinnernd. Kein einziges dieser kleinen Objekte, die übrigens, wie viele andere auch, erst im Jahre 1999 gefertigt wurden, gleicht dem anderen aufs Haar, und doch hat jedes einzelne angedeutet oder auch ausgebildet, die Form einer Spirale.  Am deutlichsten ausgeführt ist diese im Moebiusband, einer geschlossenen Doppelspirale, die Leben und Tod sowie alle endlichen und unendlichen Rhythmen in der Natur und damit auch Kontinuität und ewige Wiederkehr verkörpert.  Dieses äußerst komplexe Symbol wird seit dem Paläolithikum verwendet und bedeutet auch Ausdehnen und Zusammenziehen, Auf- und Abwickeln. Beides hat die in Schorndorf lebende Künstlerin Ebba Kaynak in Arbeiten wie dem"Füllhorn" und in ihren Hohlspindeln und Spindeln mit Innenspindel umgesetzt. Stets geht es um die Vereinigung gegensätzlicher Pole wie innen-außen, glatt-rauh, leer-voll, groß-klein, hell-dunkel und Ruhe-Bewegung.  Letzteres etwa ist bei einem Luftzug an vier an der Decke aufgehängten Spiralen zu beobachten, die alle aus einem Stamm gesägt sind und deren Kern der Besucher bilden kann, indem er,sich in die Mitte stellt.
Der rotgebeizten Venus-Serie aus Wainußholz im hinteren Raum der Galerie wäre mehr Platz zu wünschen, um den runden sinnlichen Formen noch stärker Geltung zu verschaffen.  Bei der AN-NA-Serie zeigt sich nicht nur, daß vorn und hinten gleich ist (An-na), hier spielt die Bildhauerin auch mit den Farben rot, gelb, braun, grün und blau, die sowohl Struktur als auch Form betonen.  Mit natürlichem Beizen wird der Charakter des Holzes und dessen schöne Masserung hervorgehoben, wie etwa bei der „Walnuß". Diese Objekte sind  außen wunderbar glatt, und die Spuren der Kettensäge sind hier getilgt.